Startseite » Land & Leute » Juden in Sachsen – Die Geschichte des Judentums im Freistaat
Das Judentum ist seit Jahrtausenden ein konstitutives Element europäischer Geschichte. Seine wirkmächtigen Spuren hat es dabei auch in Sachsen hinterlassen, wo es bis heute Teil von Kultur und öffentlichem Leben ist. Nachfolgend sollen die wichtigsten Stationen der von großen Blütezeiten und grausamen Rückschlägen geprägten Geschichte der Juden in den sächsischen Landen dargestellt werden. Fokussiert wird dabei zunächst das jüdische Leben im Mittelalter, zweitens das jüdische Leben bis 1933, drittens das Schicksal des jüdischen Volkes während der NS-Zeit, viertens die Entwicklung der Juden in der DDR und schließlich die gegenwärtige Stellung des Judentums im Freistaat.
Inhaltsverzeichnis
Die Verbindung des jüdischen Volkes mit der Geschichte des europäischen Kontinents nimmt ihren Ausgangspunkt in der Diaspora. Frühzeitig schon siedelten Juden in jenen Gebieten und Landstrichen, die wir heute Deutschland nennen. Ihre Kaufleute und Handwerker stellten Lebensadern der Binnenwirtschaft des Reiches dar und waren eine auftreibende Kraft in der Entstehung der ersten Städte. Erst mit dem Beginn der Kreuzzüge und der damit einhergehenden sozialen Konstruktion des Feindbilds der Juden als Eindringlinge und Bodenlose hat sich diese durchaus komfortable Stellung des jüdischen Volkes in der Gesellschaft geändert.
In Sachsen ist die Präsenz jüdischer Volksangehöriger bereits für das 10. Jahrhundert urkundlich belegt. Damals waren sie die Vermittler des überregional bedeutsamen Elblandes. Ihre bedeutsame Stellung widerspiegelte sich unter anderem dadurch, dass sie von höchster Ebene aus protegiert wurden. So verordnete kein geringerer als Otto der Große im Jahre 965, dass Juden gemeinsam mit allen anderen Kaufleuten einzig der erzbischöflichen Gewalt unterstehen dürften. Einerseits waren die Juden damit die Schützlinge des Kaisers, andererseits galten sie gemeinhin als sein Eigentum. Die zusammen mit den Lombarden im Meißener Land ankommenden Juden trieben vor allem in den Orten Naumburg, Merseburg, Torgau und Meißen Handel. Dabei wurden sie vom Kaiser hoch besteuert, als Ausgleich dafür jedoch mit signifikanten Vor- und Sonderrechten ausgestattet.
Zu jener Zeit waren zahlreiche Juden in den sächsischen Ländern sesshaft geworden. Sie bildeten die soziale Trägergruppe für die Ausbreitung und das Florieren des sächsischen Handels. Auch Leipzig begann in den folgenden Jahrhunderten, von diesen Entwicklungen zu profitieren und konnte rasche Wohlstandsgewinne verzeichnen. Im 13. Jahrhundert waren jüdische Einwohner ein fester Bestandteil seiner Bevölkerung. Sein Aufstieg als Bürger- und Handelsstadt durch die Säkula hinweg wäre ohne die Partizipation der Juden an der gesellschaftlichen Entwicklung wohl nicht möglich gewesen. Dementsprechend war das Verhältnis zwischen ihnen und der christlichen Mehrheit der Bevölkerung ein produktives und vertrauensvolles. Wie eingangs erwähnt, sorgte erst der durch die Kreuzzüge entfesselte religiöse Fanatismus für die soziale Stigmatisierung der Juden. Religiöse Gründe wurden dabei mit wirtschaftlichen gemischt, sodass Juden, die in ihrer Eigenschaft als geschickte Händler und Kaufleute in der Regel wohlhabend und gebildet waren, auch als Diebe denunziert wurden.
Die Konfliktlinie zwischen Christen und Juden verlief allzu häufig parallel zu der zwischen Schuldner und Gläubiger, sodass beide Konflikte sich gegenseitig verstärkten. Im Ergebnis kam es zu zahlreichen Judenverfolgungen und Pogromen, in deren Zuge zahlreiche Schuldbriefe vernichtet wurden. In den Chroniken ist erstmal im Jahre 1205 von einem derartigen Zwischenfall berichtet.
In Sachsen siedeln sich die Juden erst relativ spät an, jedenfalls im Vergleich zu anderen Fürstentümern und Duodezstaaten. Zwar wurde bereits im Jahre 1849 staatsrechtlich durchgesetzt, dass Juden und Christen hinsichtlich der Inanspruchnahme (staats-)bürgerlicher Rechte gleichgestellt seien. Trotzdem blieben viele Emanzipationsdefizite bestehen, welche der jüdischen Bevölkerung die Inklusion in Sachsen signifikant erschwerte. Außerdem stellte sich die allgemein Rechtslage in den deutschen Landen als ungünstig für die Einwanderung von Juden heraus. Substanzielle Änderungen zeitigte erst der Beitritt des sächsischen Königreiches zum Norddeutschen Bund im Jahre 1866, weil hierdurch die verbliebenen Ausnahmegesetze gegen Juden aufgehoben wurden. Im selben Jahr wurde eine Verfassungsnovelle verabschiedet, welche bürgerliche Rechte formal von der Religionszugehörigkeit trennte. Somit war es Juden nun auch erlaubt, außerhalb der Metropolen Dresden und Leipzig zu siedeln.
Infolgedessen verstärkte sich die Emigration von Juden aus Osteuropa nach Sachsen enorm. Von der Reichsgründung an bis ins Jahr 1925 erhöhte sich die Anzahl der in Sachsen wohnhaften Juden um das Siebenfache. Die Immigrationswellen sorgten auch für neuartige Sozialstrukturen. Die zumeist osteuropäischen Neuankömmlinge segregierten sich stark und bildeten keinen besonders engen Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung (was die bereits ansässigen Juden einschließt) aus. Daher wirkten Juden auf zahlreiche Sachsen fremd und abstoßend, sprachen sie doch häufig kein gutes Deutsch. Als es dann im Zuge des Gründerkrachs zur wirtschaftlichen Depression kam, welche vor allem auch den Mittelstand tief verunsicherte und Unternehmen unter enormen finanziellen Druck setzte, begannen sich alte Feindbilder zu revitalisieren. Die in den Bereichen Gewerbe und Handel stark aufgestellten Juden wurden tendenziell eher als Konkurrenz und Bedrohung denn als Segen wahrgenommen. Sukzessive griff der alte Antisemitismus wieder um sich.
Die entbehrungsreichen Kriegsjahre von 1914 – 1918 wirkten hierfür als Katalysator, weil die Wohlstandslücke zwischen der jüdischen und der restlichen Bevölkerung in dieser Zeit massiv anwuchs. Während besonders in der Weimarer Zeit Juden allerorts zu wirtschaftlichem Erfolg und Wohlstand gelangten, wurden unzählige andere abgehängt. In Sachsen waren Juden vor allem in den Bereichen Groß- und Einzelhandel sowie in der Textilindustrie tätig, was unter anderem in den großen Kaufhäusern Chemnitz‘ und Dresdens sichtbar wurde. Allgemein existierten vergleichsweise wenige jüdische Arbeiter, da ein Großteil von ihnen selbstständig war. Darüber hinaus begannen die Juden, auch in den Wissenschaften, in der Verwaltung, in Kunst und Kultur sowie im Bankenwesen Sachsens eine immer wichtigere Rolle zu spielen. All dies führte zu latenten und offen zur Schau gestellten Feindbildern und nährte den Hass und den Neid der deutschen Bevölkerung auf ihre jüdischen Mitbürger.
In der Mitte des Jahres 1933 waren etwa 0,4 Prozent der sächsischen Bevölkerung Juden. Ihre Zahl wird auf etwa 20.500 beziffert. 90 Prozent von ihnen waren in den drei sächsischen Metropolen Dresden, Leipzig und Chemnitz ansässig, während die restlichen 10 Prozent in den jüdischen Gemeinden Plauen, Bautzen, Annaberg, Zittau und Zwickau lebten. Wie bereits erläutert waren überproportional viele dieser Juden Osteuropäer, also Ausländer, und isolierten sich gesellschaftlich. Ihr soziales Spektrum war sehr divers und konzentrierte sich keineswegs nur auf privilegierte Schichten. Nicht nur reiche Unternehmer, sondern auch bettelnde Trödler, Hausierer und Tagelöhner gehörten dazu.
Mit Hitlers Inauguration als deutscher Reichskanzler am 30. Januar des Jahres 1933 wurde der ohnehin schon schwelende Antisemitismus in Deutschland zum politischen Programm erklärt. Seine „Regierung der nationalen Konzentration“ legitimierte de facto Übergriffe auf und Rechtsbrüche gegen jüdische Mitbürger. Bald folgte die Untermauerung dieser Praxis auch de jure, als schon Ende Februar desselben Jahres Juden zentraler Grundrechte verlustig gingen und Wellen von Zerstörungen, Anfeindungen und Verhaftungen ausgesetzt wurden. Sachsen, welches in Deutschland als Hochburg des Antisemitismus galt, nahm in diesem Zusammenhang eine besonders kompromisslose und grausame Rolle ein.
So kam es nach den Reichstagswahlen am 5. März sowohl auf der regionalen als auch auf der kommunalen Ebene zu systematischen Hetz- und Diffamierungskampagnen gegen Juden. NSDAP-Stoßtruppen verwüsteten jüdische Geschäfte und Läden, schlugen Juden auf offener Straße nieder und setzten die Beurlaubung jüdischer Eliten in Politik, Kultur und Wirtschaft durch. In den größeren Judenkommunen Chemnitz, Dresden, Freiberg, Zwickau, Aue, Döbeln und Plauen wurde ein organisierter Boykott jüdischer Gasthäuser, Läden, Krankenhäuser sowie Rechtsanwalts- und Arztpraxen durchgeführt. Der in Sachsen eingesetzte Gauleiter Mutschmann verkündete daraufhin öffentlich, dass dieser Boykott lediglich eine Generalprobe für einen bald erfolgenden, landesweiten Boykott gewesen sei, der nicht so glimpflich von Statten gehen würde. Er stellte klar, dass das Ziel deutscher Politik die Vernichtung der Juden sei. Dieses wurde neun Jahre später auf der Wannsee – Konferenz auf grausamste Weise beschlossen und anschließend mit unmenschlicher Effizienz umgesetzt.
Nachdem der Krieg 1945 vorbei war, wurden in der sowjetischen Besatzungszone einige jüdische Gemeinden neu gegründet, deren Mitglieder die Überlebenden der NS-Verfolgung waren. Viele dieser Remigranten entschieden sich bewusst für eine Rückkehr in die DDR, weil sie hofften an der Bildung eines anderen Deutschlands partizipieren zu können. Jedoch wurde schon in den 50iger Jahren offenbar, dass der Antizionismus Stalins zu einem generellen Antisemitismus auch in der DDR führte. Viele Juden verließen ihre Wahlheimat daher aus ökonomischen und persönlichen Gründen wieder, um in Israel oder den USA eine neue Heimat zu finden. Bis zum Mauerbau des Jahres 1961 schrumpfte der Anteil der jüdischen Bevölkerung in der DDR kontinuierlich. Für die zurückbleibenden Juden war die Ablehnung der Verantwortung für die Taten des Dritten Reiches durch die DDR bisweilen fatal. Zwar wurden anerkannten Gewaltopfern durchaus Vergünstigungen und Wiedergutmachungen gezahlt, und jüdische Gemeinden bekamen staatliche Zuschüsse für den Erhalt ihrer Friedhöfe und Synagogen.
Prinzipiell jedoch verstand sich die DDR nicht als direkter Nachfolgestaat des Reiches, weshalb zum Beispiel arisiertes Vermögen nicht zurückerstattet wurde. Auch in den öffentlichen Gedenkfeiern wurden jüdische Opfer nicht mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht und stets dem politischen Widerstand nachgeordnet. Das eher schlechte Verhältnis zwischen dem DDR-Staat und seinen jüdischen Gemeinden erlebte erst Mitte der 80iger Jahre eine Art Renaissance, weil erstere seine Beziehungen zum Westen dadurch verbessern suchte, dass sie letztere proaktiv unterstützte. So wurde die jüdische Religion wenigstens in Teilen öffentlich lebbar und die Beziehungen zu Israel gewannen an Substanz. Dennoch muss konstatiert werden, dass die Kultur des Judentums in der DDR beständig im Verwelken begriffen war, sodass beim Mauerfall nur noch wenige traditionell jüdische Familien existierten.
Nach der Wiedervereinigung wuchs die jüdische Bevölkerung Sachsens rasch an. Wie schon nach dem Beitritt des damaligen Königreiches zum Norddeutschen Bund strömten zahlreiche Juden aus Osteuropa, also der ehemaligen Sowjetunion, in die sächsischen Gebiete. Dadurch wurde das Gemeindeleben der Juden im Bundesland völlig neugestaltet. Während 1989 nur noch drei jüdische Gemeinden, nämlich in Leipzig, Dresden und Chemnitz, in Sachsen existierten, deren keine viel mehr als 100 Mitglieder zählte, gibt es heute zahl- und mitgliederreiche Gemeinden. In Leipzig werden ca. 1300 jüdische Mitbürger gezählt, in Dresden 750 und in Chemnitz 600. Alle drei Städte haben eine gewaltige Integrationsleistung zustande gebracht.
Dieser rapide Anstieg zeitigte jedoch erhebliche personelle, finanzielle und allgemein strukturelle Herausforderungen. So mussten für die neuen Gemeindemitglieder sowohl Wohnraum als auch Arbeitsplätze gefunden werden. Diese und weitere Probleme konnten durch die Förderung und Unterstützung des Freistaates Sachsen jedoch bewältigt werden, welcher seine Verantwortung für die jüdischen Gemeinden öffentlich und ausdrücklich wahrnahm. Neben liberal eingestellten jüdischen Gemeinden hat sich auch das orthodoxe Judentum wieder in Sachsen angesiedelt, weil die freie Ausübung der Religion nicht mehr behindert wird. Die innere Vielfalt und kulturelle Reichhaltigkeit des Judentums sind ein integraler Bestandteil der europäischen, deutschen und sächsischen Kulturgeschichte. Durch den 1994 geschlossenen Staatsvertrag zwischen Sachsen und dem jüdischen Landesverband ist das Judentum in der Kultur und Gegenwartsgeschichte des Freistaates fest und unwiderruflich institutionalisiert.
Zuletzt wurde dieser Vertrag 2006 dergestalt erweitert, dass Sachsen nun einen jährlichen Festbetrag von bis zu 725.000 Euro an die jüdischen Gemeinden überweist. Damit haben diese eine nachhaltige Grundlage zur Konsolidierung ihrer gesellschaftlichen Stellung sowie zur Auslebung ihrer Religion und Kultur. Konkrete Erfolge dieser Förderung lassen sich zum Beispiel am Bau der Synagogen in Dresden und Chemnitz beobachten oder auch an der Restaurierung der Leipziger Synagoge. Außerdem wurde bereits 1995 das Simon-Dubnow-Institut an der Universität Leipzig geschaffen, welches die Geschichte und Kultur des mitteleuropäischen Judentums erforscht.
Feb 17, 2021 Kommentare deaktiviert für Landeshochwasserzentrum gibt erste Einschätzung zur Entwicklung in den Flussgebieten
Feb 04, 2021 Kommentare deaktiviert für Kooperationsvereinbarung zum „Festjahr #2021JLID – Jüdisches Leben in Deutschland“
Feb 04, 2021 Kommentare deaktiviert für Arbeitsschutzbehörde überprüft fortlaufend Betriebe auf Einhaltung der Covid-Regeln
Jan 26, 2021 Kommentare deaktiviert für Neue Regelungen in der Corona-Schutz-Verordnung ab dem 28. Januar
Jan 06, 2021 Kommentare deaktiviert für Sächsische Impfzentren gehen am Montag in Betrieb
Nov 30, 2020 Kommentare deaktiviert für DERBYSIEGER! SC DHfK gewinnt nach 4,5 Jahren wieder gegen SC Magdeburg
Der Bann ist gebrochen! Die Handballer des SC DHfK Leipzig haben nach mehr als viereinhalb Jahren wieder einen Derbysieg gegen den SC Magdeburg eingefahren. Seit dem letzten Sieg im Februar 2016 – damals hatten die Grün-Weißen in ihrer Premieren-Saison in der ersten Bundesliga sogar beide...Nov 11, 2020 Kommentare deaktiviert für Leipzigs Nationalspieler Klostermann fällt nach Knie-OP bis zum Winter aus